Beispiele für den Missbrauch von Ideologien

 

Ausgangsthesen:

 

 

  • Religionen und säkulare Ideologien wurden und werden in der Geschichte und in der Gegenwart immer wieder zur Legitimierung von Gewalt missbraucht.
  • Ideologien neigen durch ihren Anspruch, ein Monopol auf die Wahrheit zu  besitzen, zu Intoleranz und zur Anwendung von Gewalt.
  • Ideologien eignen sich zur Verschleierung machtpolitischer Gewaltmotivationen.
  • Für den Einsatz von Gewalt bedarf es einer vorbereitenden und begleitenden Ideologisierung als Motivation für die Ausführenden.

Beispiele für den Missbrauch:

- religiöser Ideologien ("Heiliger Krieg")


  • Kreuzzüge des Christentums (1096 - 1291)  

    Grundlage für die religiös motivierten Kriege des Christentums war das Konzept des "gerechten Krieges" des heiligen Augustinus.  Mehr: 

       - Gerechter Krieg

    Die angebliche Anordnung Gottes ("deus lo vult!") vor dem ersten Kreuzzug 1095 in Clermont wurde von Papst Urban II. und den Kreuzfahrern vorgeschoben, um die Rückeroberung Palästinas und der heiligen Stätten des Christentums von den türkischen Seldschuken zu erreichen. Von seiten des Papsttums standen weitere machtpolitische Überlegungen hinter dem Feldzug: Festigung der Stellung der Kirche als Ordnungsmacht in Mitteleuropa und Vereinigung der Westkirche mit der byzantinisch dominierten Ostkirche.

    Näheres: 

    http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Kreuzzug

     

    Ähnlich verhielt es sich mit den weiteren sechs Kreuzzügen. Obwohl der Stauferkaiser Friedrich II. im fünften Kreuzzug eine Vereinbarung (Friede von Jaffa, 1229) über einen christlichen Status von Jerusalem (mit muslimischen Enklaven) mit dem türkischen Sultan erzielen konnte, wurde die Stadt bereits 1244 wieder von den Ayyubiden zurück erobert. 1291 fiel mit der Festung Akkon die letzte Kreuzfahrerbastion.Später wurden auch militärische Unternehmungen außerhalb der Levante als Kreuzzüge bezeichnet, z. B. die Feldzüge der Deutschordensritter gegen die Litauer im 14. Jahrhundert. Auch militärische Aktionen gegen religiöse Abweichler erhielten die Bezeichnung "Kreuzzug", z.B. der brutal geführte Kampf gegen die Albigenser in Südfrankreich im 13. Jahrhundert. Ein typisches Verhalten von militanten Ideologen, die "Ketzer" schnell und unnachsichtig verfolgen, bevor diese an fest gezurrten Dogmen rütteln können. Zu den Hintergründen und Abläufen der Kreuzzüge siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzz%C3%BCge#Kriegsfolgen2C_weitere_Kreuzz.C3.BCge_im_Mittelalter 


     

  • Dreißigjähriger Krieg (1618 - 1648)


  • Kampf um die Vorherrschaft in West- und Nordeuropa mit folgenden Kriegsteilnehmern: Die Habsburger als römisch- deutsche Kaiser und Vormacht der katholischen Liga,die  protestantische Union unterstützt vom französischen König, der sowohl die Machtposition der Habsburger wie auch die der Spanier schwächen wollte; die Könige von   Schweden und Dänemark, die um die Vorherrschaft in   Nordeuropa kämpften.Der Frieden von Münster und Osnabrück 1648 ergab religionspolitisch im wesentlichen eine Bestätigung des Augsburger Religionsfriedens von 1555 mit einigen Detailregelungen und der Anerkennung der Reformierten als dritte gleichberechtigte Konfession im heiligen römischen Reich. Auf politischer Ebene waren die Hauptgewinner Frankreich, Schweden und die nun von Spanien unabhängigen niederländischen Generalstaaten.Für dieses eher magere Ergebnis wurden im Südwesten und im Nordosten des Reiches die Einwohner um bis zu 40 Prozent durch Kriegsfolgen und Seuchen dezimiert. Manche Landstriche benötigten bis zu 100 Jahre, um die Verwüstungen wieder aufzuholen. Dieser verheerende Krieg ist ein Beispiel für die Vermengung von religiös-konfessionellen und machtpolitischen Interessen und deren rücksichtslose Durchsetzung. Näheres: http://de.wikipedia.org/wiki/Drei%C3%9Figj%C3%A4hriger_Krieg

     

  • Dschihad der Muslime

    Uneinheitliche Definition des bewaffneten Kampfes gegen Andersgläubige in den islamischen Schriften mit folgenden Eckpunkten:
    - Konversion
    - Unterwerfung
    - Tributpflicht

    jeweils mit dem Ziel, den Einflussbereich der muslimischen Religion - oder einer ihrer Ausprägungen wie z. B. von Sunniten oder Schiiten - auszudehnen. 
    Daneben gibt es auch eine nicht-militärische Auslegung des Dschihad als Kampf gegen Untugend und Unmoral, bzw. für die "Wahrheit". Über die militärische Interpretation hinaus geht die Legitimation von terroristischen Aktionen mit dem Dschihad-Konzept. Obwohl im Koran der Suizid als schwere Verfehlung angeprangert wird, werden Selbstmordattentäter als Märtyrer bezeichnet. Aktuell auch durch das Kalifat des "Islamischen Staates" (IS), nebst anderer Brutalitäten dieser den Sunniten nahe stehenden islamischen Fraktion. Dieses Vorgehen widerspricht auch dem Inhalt eines offenen Briefes - nicht extremer  - islamischer Gelehrter vom 12. Oktober 2006 als Antwort auf eine Rede Papst Benedikt XVI., in dem die Anwendung von Gewalt gegenüber andersgläubigen Zivilisten verurteilt wird. Näheres siehe:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Dschihad 

    - Islamischer Staat (IS) 

     

  • Ultrarechte Hindu-Ideologie 

      Der im Mai 2014 mit großer Mehrheit für die Hindu-Partei       BJP gewählte fundamental-hinduistische Regierungschef       Indiens Modi steht der religiös-nationalistischen Sangh           Parivar Bewegung nahe. Deren Ideologie unter dem               Schlagwort "Hindutva" beansprucht alle Macht
      für den Hindu-Nationalismus. Nicht-Hindus, z.B.                     Moslems, Christen, Buddhisten, ca. ein Fünftel
      der indischen Gesamtbevölkerung von 1,3 Milliarden,             werden als Menschen zweiter Klasse angesehen, die             zwangskonvertiert werden sollen. Es bleibt nur zu hoffen,       dass sich diese Politikrichtung in Indien nicht durchsetzen       wird, da sie in höchstem Maße intolerante und                         nationalistische Thesen vertritt. 


 

       Nürnberger Nachrichten vom 09.02.15, Gabriele Venzky:
       "Scheitert Modi an sich selbst? Ultrarechte Hindu-Ideologie in Indien führt zu            neuer Gewalt".   


 

 

  •  Missbrauch säkularer Ideologien

 

 Die fatale Kombination von Ideologie und Diktatur gibt es allerdings auch mit      säkularen Ideologien.  
 Hannah Arendt beschreibt den engen Zusammenhang          zwischen diesen und Totalitarismus an den  Beispielen      der Diktaturen unter Stalin und Hitler  ("Elemente und          Ursprünge totaler Herrschaft"). 

 Mit Hilfe systematischen Terrors sollte die reale Welt

 der fiktiven ideologischen Welt "angepasst" werden. 


 

  • Kommunistischer Klassenkampf

  • Der theoretische Marxismus postulierte den  "Klassenkampf"  als treibende Kraft der Geschichte, der  so lange dauern  würde bis der Sieg der sogenannten  "Arbeiterklasse"  erreicht und der Kapitalismus zusammen  gebrochen wäre.  Um dieser Entwicklung endgültig zum  Durchbruch zu  verhelfen bzw. sie zu beschleunigen,  müssen    "Klassenfeinde" deshalb folgerichtig  ausgeschaltet  werden. In den dreißiger Jahren wurden aufgrund dieser Ideologie  in  der Sowjetunion von der Parteispitze - also im  wesentlichen von Stalin - nacheinander die    Bolschewisten  der ersten Stunde, die Bauern (Kulaken),  die Bürokraten  und schließlich das Offizierskorps als  "Konterrevolutionäre" liquidiert.  Eine nachweisbare  individuelle Schuld brauchte dabei  nicht vorzuliegen.  Neben der ideologischen "Bereinigung" dienten diese  Menschen verachtenden Maßnahmen auch der  Einschüchterung jeglicher Opposition zur Parteilinie und  damit dem Machterhalt Stalins.

     

     In ähnlicher Weise gingen auch andere, auf der  kommunistischen Ideologie basierende Regime vor, z.B.  in China ("Kulturrevolution") oder Kambodscha  (Zwangsagrarisierung durch die Roten Khmer).   Das theoretische Konzept einer "klassenlosen  Gesellschaft" erwies sich in der politischen Realität als  undurchführbar, weil die jeweilige Führungsschicht - also  die zentralen und lokalen Parteispitzen - sich doch  Privilegien genehmigten und sie mit allen Mitteln  verteidigten. Auch wirtschaftlich war die zentrale  Planwirtschaft kein Erfolg, da die Wirtschaft als  dynamischer gesellschaftlicher Prozess nicht bis ins letzte  planbar ist. Anstatt wie theoretisch vorgesehen einer  Steuerung von unten, gab es in Wirklichkeit eine zentrale  diktatorische Steuerung von oben, die an den  Bedürfnissen der Menschen vorbei lief. Daran konnten    auch die ständig wiederholten Erfolgsparolen nichts  ändern. 


     

-  Nationalsozialistischer Rassenkampf


 

Anstelle des Klassenkampfes als historische Kraft trat bei     den Nationalsozialisten der Rassenkampf, der sich aus der   These der unterschiedlichen Wertigkeiten der       menschlichen Rassen ableiten ließ. Die "germanisch-            arische" Rasse bildete die Spitze der Rassenrangfolge  und    die farbigen Rassen rangierten entsprechend tiefer. Die          Juden wurden nicht nur als Volk eingestuft, sondern                ebenfalls als Rasse bezeichnet und an das Ende der              Stufenleiter gestellt. Um diese angenommene Rangfolge        zu erhalten, bedarf es eines ständigen Kampfes der                überlegenen gegen die angeblich minderwertigen Rassen,    insbesondere der "Arier" gegen die Juden. Diese in der          Realität nicht haltbare Ideologie wurde bereits im 19.              Jahrhundert von pseudowissenschaftlichen                              Rassenideologen vorbereitet und als ideologischer                  Unterbau des Kolonialismus und Antisemitismus

 propagiert. Hitler musste diese Gedanken nur zu einem  in  sich stimmigen System zusammen fügen und  um die  totalitären    Komponenten des Führerstaats ergänzen - und  fertig war die Nazi-Ideologie. Die theoretische Grundlage hat  er in seinem    programmatischen Buch "Mein Kampf"  1925/26 gelegt und bereits 1920 politisch als 25-Punkte-  Programm der NSDAP formuliert. Die Folgen sind bekannt.    Näheres unter:

   -  Rassismus/Antisemitismus


 

 

 

  •  "Heim ins Reich" Ideologie

 

 

Diese ist ein probates Mittel, um den Einflussbereich eines Staates    auszudehnen. Leben in anderen Staaten Angehörige der gleichen Population/Volksgruppe wie im Ausgangsstaat, so wird die Forderung erhoben, dass der eigene Einflussbereich auf die Siedlungsgebiete dieser Populationen ausgedehnt werden muss, um diese zu schützen. Hitler hat diese Forderungen u.a. für die "Sudetendeutschen" in der Tschechoslowakei, die Bewohner von Danzig in Polen, aber auch für die deutschsprachigen Österreicher erhoben, wobei letztere gar nicht "geschützt" werden mussten. Ziel sollte die Einrichtung eines "großdeutschen Reiches" sein, in dem aber andere Ethnien nicht mehr willkommen waren. 

Ähnliche Ziele verfolgten in den 1990er Jahren die Serben, die mit den in Bosnien und im Kosovo wohnenden Angehörigen der eigenen Volksgruppe ein "Groß-Serbien" gründen wollten und dabei vor "ethnischen Säuberungen" nicht zurückschreckten. Erst ein Eingreifen der USA im Rahmen der NATO - an der UNO vorbei - machte den serbischen Ambitionen im Kosovo ein Ende. 

Aktuelles Beispiel für diese Art von Ideologie sind die russischen Eingriffe in der Ukraine, die unter dem Deckmantel des Schutzes der russischen Bevölkerungsteile laufen. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim lautet hier das Schlagwort "Neurussland", das neben der Krim auch die Ostukraine umfassen soll. 

 

 

Ideologisierung als Motivation für Gewaltaktionen


 

Dem vom Nationalsozialismus geplanten und durchgeführten Holocaust, also der industriell abgewickelten Massenvernichtung der europäischen Juden, gingen Massenerschießungen von Juden in den besetzten Gebieten durch sogenannte Sondereinsatzgruppen voraus. Bei der industriellen Vernichtung war eine Vielzahl von Personen an der Sammlung, dem Transport, der Selektion und der Einweisung in die "Duschräume" beteiligt. Bei der Tötung selbst waren allenfalls diejenigen Personen tätig, die das ZyklonB in die entsprechenden Schächte schütteten. Ein direkter Kontakt zu den Mordopfern fand aber nicht statt. 

Dies war bei den Massenerschießungen anders. Die Mitglieder der SS- oder Polizeieinsatzgruppen standen den Opfern, Männer, Frauen und Kindern direkt gegenüber bevor sie auf sie feuerten. Nach dem Krieg stellte man sich die Frage, wie man aus ganz normalen Männern, Polizisten und Familienvätern Massenmörder machen konnte. Die Antwort lautet: Mit Hilfe jahrelanger Indoktrinierung mit antisemitischer Rassenideologie. Die Juden wurden immer wieder "als unser Unglück", das jüdische Volk als ein rassisch minderwertiges parasitäres bezeichnet, das aber gleichwohl die Weltherrschaft anstrebt und das deutsche Volk vernichten möchte. Die Mitglieder der Erschießungskommandos betrachteten es deshalb als ihre vaterländische Pflicht "diesen schweren Dienst" zu verrichten. 


 

Literatur dazu:
 

Goldhagen, Daniel Jonah:
"Schlimmer als Krieg. Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist",
München 2009.

Welzer, Harald:
"Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden",
Frankfurt/M. 2007